Russland, Ferner Osten: Von Irkutsk zur Insel Sachalin

Unsere Reiseroute in Russland fuehrt uns in Regionen, in denen normalerweise kein Tourist mehr anzutreffen ist. Von Irkutsk aus machen wir uns auf zu einer 5-Tages-Bahnfahrt in den tiefsten Osten des Landes, um dann in Port Vanino mit dem Schiff nach Sachalin ueberzusetzen. Die Insel Sachalin ist spezielles russisches Grenzgebiet, war vor dem 2. Weltkrieg zur Haelfte im Besitz Japans bevor es die Russen kurz vor Kriegsende komplett zurueckeroeberten und ist bekannt fuer ihre grossen Oel- und Gasvorkommen. Grund unseres ungewoehnlichen Weges ist unsere geplante Weiterreise, denn von Sachalin wollen wir zur noerdlichsten Insel Japans, Hokkaido, schippern.

Aber zunaechst geht es fuer uns von der Mongolei aus ins Venedig des russischen Ostens - Irkutsk. Der Grenzuebertritt per Bahn nimmt 6 Stunden Zeit in Anspruch und wir lernen dabei, wie mongolische Haendler ihre Waren sicher und vorallem zollfrei ueber die Grenze transferieren. Unsere Abteilnachbarin ist Mongolin, eine quirlige 50-Jaehrige, die bereits Grossmutter ist. Sie verdient sich ein paar Rubel dazu, indem sie Kleidung, die sie in China einkauft, in der Mongolei und in Russland wieder verkauft. Sie ist Christin, erzaehlt sie uns und kann mit 55 Jahren in Rente gehen. Bis dahin wird sie mindestens noch ein Jahr aller 3 Tage zwischen beiden Laendern pendeln, um ihre Produkte abzusetzen. Kurz vor der Grenzkontrolle wird sie aktiv, wuselt zwischen den Waggonabteilen hin und her und verteilt alle ihre Kleidungsstuecke an Mitreisende. Danach greift sie zur Bibel, faltet ihre Haende und schickt ein Gebet gen Himmel fuer gutes Gelingen. Alles geht gut, die Zollbeamten finden nichts und die Zugbegleiterin unseres Waggons bekommt fuer ihr Wohlwollen eine Jeans zugesteckt.

In Irkutsk angekommen, begruesst uns als erstes das schicke, sehr fotogene Bahnhofsgebaeude der Stadt. Durch seine frisch verputzten Haeuserfassaden, den farbenfrohen Kirchen und seinen alten Holzhaeusern aus der Zeit Zar Nikolaus I. wirkt Irkutsk sehr freundlich. Erstaunt sind wir von den relativ teuren Lebensmittelpreisen im Supermarkt und wundern uns, wie sich das der Durchschnittsrusse leisten kann. Auch unser Hostel ist im Vergleich zur Mongolei und China nicht gerade guenstig, dafuer fuehlen wir uns gleich wie zu Hause. Denn wir uebernachten in einer liebevoll eingerichteten Altbauwohnung mit Kueche, Bad und drei Zimmern mit insgesamt 9 Betten fuer Gaeste. Durch Olga und Maxim, unseren ausserordentlich hilfsbereiten Hostelbetreibern lernen wir auch gleich die vielbeschriebene Herzlichkeit der Russen kennen. Olga uebernimmt fuer uns die Visaregistrierung, denn wie es die russische Buerokratie will, muss sich jeder Reisende, wenn er mehr als 2 Naechte in einer Stadt bleibt, offiziell anmelden, was dann nochmal 10 Euro p.P. kostet. Auch bucht sie fuer uns die Uebernachtung auf der Insel Olchon im Herzen des Baikalsees, auf der wir zwei entspannte Bade- und Radfahrtage verbringen.

Nach unserem Abstecher zum Baikalsee wird es fuer uns hoechste Zeit die Zuege fuer den langen Trip Richtung Osten zu buchen. Am Bahnhofsschalter haben wir wenig Glueck, denn alle lokalen Direktzuege von Irkutsk nach Vladiwastok sind fuer die kommenden Tage restlos ausgebucht. Da hilft nur das Internet. Mit Olga und Maxim durchforsten wir alle Verbindungen auf der russischen Bahnbuchungswebseite und stellen einen fast perfekten und erstaunlich guenstigen Reiseplan zusammen. Am Ende kommen wir auf 5 Tage Zugfahren, 4mal Umsteigen, 4.300 zurueckzulegende Kilometer und einen unschlagbaren Preis von ca. 130 Euro p.P. in den guenstigen "Platskart"-Waggons, die einfachste Liegewagenvariante. Bewaffnet mit den Zugbuchungsnummern vom Internet gehen wir zum Bahnhofsschalter und sind kurz darauf glueckliche Besitzer von 4 Bahnfahrkarten der Strecke Irkutsk - Ulan Ude - Tynda - Komsomolsk na Amur - Vanino. Das beste ist, das wir die Naechte jeweils im Zug verbringen und tagsueber genuegend Zeit fuer eine Stadtbesichtigung bleibt, bevor es weitergeht. Neben der Transsibirischen Bahnstrecke fahren wir ab Tynda auch auf der BAM - der Baikal Amur Magistrale.

Bahnfahren in Russland ist ein Erlebnis fuer sich. Zunaechst einmal ist da die "prowodniza", die Zugbegleiterin des Waggons, die am Bahnsteig unsere Tickets kontrolliert und uns die Plaetze zuweist. Nachdem der Zug losgefahren ist, verteilt sie an jeden Fahrgast die Bettwaesche fuer die Nacht. Da wir Handtuch und Laken nicht mit unserem Fahrschein vorbestellt haben, zahlen wir umgerechnet rund 2 Euro vor Ort und erhalten bei einer Gelegenheit zwei fein saeuberlich auf unseren Namen ausgestellte Bettwaesche-Quittungen. Das beste im Zugabteil ist der Heisswassersamowar, an dem man sich jeder Zeit Wasser fuer Tee und die obligatorische, weil guenstige, 5-Minuten-Suppenterine bzw. den bei Russen beliebten Fertigkartoffelbrei holen kann. Die erste Tasse Tee kaufen wir im Zug, weil man da ein grosses Glas in einem robusten, fein verzierten Metallhalter bekommt, den man die Fahrt ueber behalten kann. Und dann sind da unsere interessierten russischen Mitreisenden - neben Familien mit Kindern meist junge Maenner, die auf dem Weg zur Arbeit sind. Wir kommen mit Elektrikern aus Tynda ins Gespraech, die entlang der BAM Kabel verlegen und in der Naehe von Fewralsk fuer die naechsten 30 Tage auf einer Baustelle arbeiten werden. Danach haben sie 15 Tage frei, bevor es wieder auf Achse geht. Mit Hilfe unserer Basisrussischkenntnisse und einem Woerterbuch erlaeutern wir, was uns herfuehrt und gleich werden viele Fragen gestellt: Wo hat es uns am besten gefallen? Was denken wir ueber Russland? In welchem Land auf unserer Reise gab es die huebschesten Frauen? Was ein Jahr Weltreise denn kostet? Zum Schluss wird der Laptop ausgepackt und wir zeigen kurz nach Mitternacht dem gesamten Abteil eine Auswahl unserer Fotos.

Auf unseren Stadtrundgaengen faellt uns auf, dass an vielen Orten der sozialistische Charme ueberdauert hat. Die Hauptstrasse ist die "Uliza Lenina", die Geschaeftsstrasse die "Uliza Karla Marxa" und Spruchbaender wie "Wir lieben unsere Stadt" sind zu lesen. Natuerlich fehlt auf keinem der Marktplaetze eine uebergrosse Leninstatue. Besonders beeindruckt sind wir vom Leninkopf in Ulan Ude - angeblich der groessten der Welt. Auch wenn man in die zahlreichen kleinen "Magasin"-Laeden geht, denkt man - abgesehen vom Warenangebot - die Zeit sei stehengeblieben. Es bedient die Verkaeuferin mit grellfarbener Hausmannsschuerze und modischer Lockentolle aus den 80er Jahren. Geschultes Dienstleistungslaecheln Fehlanzeige. Ist die Dame hinterm Tresen im Stress, weil viele Leute warten oder hat sie keine Lust, laesst sie das den Kunden auch spueren. Dann sollte man auch (oder besonders) als Auslaender moeglichst schnell entscheiden, ansonsten wird man angerueffelt oder gleich voellig ignoriert. Die Staedte Tynda und Komsomolsk na Amur sind aufgrund des Baus der BAM zwischen 1974 - 1984 ueberhaupt erst entstanden. Deshalb dreht sich hier alles um die Geschichte des Sowjetischen Bahngrossprojektes. In Tynda besuchen wir das in einer Schule untergebrachte, liebevoll gestaltete BAM Museum. Hier wachen noch streng dreinblickende, aber herzliche Babuschkas in jedem Ausstellungsraum ueber die Erinnerungsstuecke glorreicher Bahnbaugeschichte.  

In Port Vanino besteigen wir schliesslich den russischen Schiffskutter "Sachalinsk 9", bekommen unsere 2-Bett Kajuete im Obergeschoss mit Meerblick zugewiesen und schippern gemaechlich 15 Stunden bei ruhigem Seegang der Insel Sachalin entgegen. In Yushno-Sachalinsk, dem Hauptort der Insel, machen wir unsere erste Couchsurfing Erfahrung und lernen dabei Larisa und Pavel kennen, die uns fuer zwei Naechte in ihrer grossen, modern eingerichteten Neubauwohnung uebernachten lassen. Beide arbeiten bei der ortsansaessigen Oelfirma, sind Japan begeistert, lernen beide die Sprache und beneiden uns um unsere Weiterfahrt. Fuer sie ist es mit viel Buerokratie und Kosten verbunden, ein Visum fuer das gerade einmal fuenfeinhalb Faehrstunden entfernte Japan zu bekommen. Dennoch waren sie schon mehrmals da und koennen uns gute Tips geben. Wir verbringen zwei sehr schoene Abende zusammen, plaudern, essen und trinken viel und Larisa telefoniert in der Nacht fuer uns herum, um das guenstigste Taxi zum Faehrhafen nach Korsakov zu buchen, das uns am naechsten Morgen zur Faehre nach Japan bringt.  (Durch Doppelklick werden die kleinen Bilder groß.)

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