Indien, Tamil Nadu: Der tanzende Shiva

Zunaechst geht es zum suedlichsten Punkt von Indien, dem Cape Comorin. Hier treffen der Golf von Bengalen und das Arabische Meer zusammen und wir verbringen Silvester mit hunderten Indern am Strand. Um Mitternacht gibt es ein kleines Feuerwerk aber keinen Sekt und jeder von uns schuettelt mindestens 30 jungen enthusiastischen Indern die Hand zum "Happy New Year".

Hier in Tamil Nadu, dem suedlichsten Bundesstaat Indiens, gab es ueber die Jahrhunderte hinweg eine Tradition des Ausbaus von Tempeln zu grossen religioesen Zentren. Anders als im Norden waren die Tempel kaum zerstoererischen Kraeften ausgesetzt. So finden sich in der Region prachtvolle Tempelanlagen, die von unzaehligen Pilgergruppen besucht werden. Auch wir schliessen uns in mehreren Staedten dem Pilgerstrom an und bewundern das lebendige Treiben ausserhalb und innerhalb der Tempelbezirke.

Die Aussenwaende der maechtigen Tempeltuerme sind meist reichlich verziert mit Goetterfiguren aus der hinduistischen Glaubenswelt. Besonders beeindruckt sind wir vom kunstvoll gestalteten Tempel in Madurai, der in leuchtend bunten Farben erstrahlt.

Am Haupteingang der Tempelkomplexe treffen wir auf ein bekanntes Bild - den Tempelelefanten, der gegen Bananen oder Muenzen die Glaeubigen mit seinem Ruessel segnet. Trotz des schoen anzusehenden Schauspiels kommen wir ins Gruebeln. Das Tier, angekettet und den ganzen Tag auf Steinboden am gleichen Platz stehend, fristet ein eher monotones Leben.

Im Inneren der weitlaeufigen Tempelhallen sehen wir Betende, die vor Altaeren Blumenkraenze und Fruechte niederlegen sowie Kerzen anzuenden. Andere Glaeubige knien in kleinen Gruppen auf dem Steinboden und rezitieren Mantragesaenge ihres Gurus, dem grauhaarigen, mit Gebetsketten behaengten Alten in ihrer Mitte. Abgeschirmt von den hektischen, im Verkehrslaerm erstickenden Staedten empfinden wir die Tempelbezirke als wahre Ruhepole. Obwohl es fuer uns Aussenstehende schwer ist, die vielen Gebetsrituale zu verstehen, geniessen wir das Beobachten und die spirituelle Atmosphaere innerhalb der Tempelmauern. Auch fuer die Verpflegung der Pilger im Tempel ist gesorgt. Fuer ein paar Rupees erstehen wir suessen Reis eingewickelt in ein umweltfreundliches Bananenblatt.

Oft ist es nur Hindus erlaubt, in das Allerheiligste des Tempelbezirks zu gelangen. Haben wir die Moeglichkeit, so reihen wir uns geduldig in die Menschenschlange ein, die sich um das Tempelhauptgebaeude gebildet hat. Im Inneren wird meist eine goldglaenzende Goetterstatue verehrt, die mit Bluetenkraenzen und Gewaendern behangen ist. Davor schwenkt der Priester brennende Oellampen und nimmt die Opfergaben der Vorbeigehenden entgegen. Wir wollen gar nicht so lange im Tempelinneren verweilen, da die Luft von den brennenden Kerzen und den Menschenmassen schwuelwarm und stickig ist.

Im Tempel von Trichy erleben wir eine feierliche Prozession, bei der die heilige Goetterstatue begleitet von lautem Glockengelaeut und der enthusiastischen Menschenmenge in einer Saenfte durch die festlich geschmueckte Tempelhalle getragen wird. Jeder Tempel ist einer speziellen Gottheit gewidmet. Vorallem Shiva, der Gott der Zerstoerung und Transformation. wird in seinen verschiedenen Inkarnationen in vielen Tempeln verehrt. Einer der heiligsten Shiva Tempel steht in Chidambaram. Hier wird Shiva als Gott des Tanzes angebetet. Die Broncestatue des Gottes als kosmischer Taenzer stellt die Synthese zwischen Kunst, Literatur und Wissenschaft dar.

Neben den ueberfuellten Tempelstaedten finden wir auch Regionen, wo wir nur wenigen Menschen begegnen. Beim Ausflug zur Rajagiri-Festung bei Gingee geniessen wir die Ruhe auf den Festungsruinen mit Ausblicken auf die weite gruene Huegellandschaft.

Auf vielen Plakaten lesen wir "Happy Pongal" und verlaengern unseren Aufenthalt in Tamil Nadu um ein paar Tage, um das Pongalfest mitzuerleben. Pongal ist eine Art Erntedankfest nach der Regenzeit. Anders als im uebrigen Indien, das von Juni und September vom Suedwestmonsum heimgesucht wird, fallen in Tamil Nadu die meisten Niederschlaege zwischen Oktober und Mitte Januar. Wir beobachten viele Menschen in den Bekleidungsgeschaeften und erfahren, dass fuer Pongal neue Kleider gekauft werden. Ausserdem steht ein intensiver Hausputz an - vergleichbar mit dem Fruehjahrsputz bei uns. Oft zieren bunte Kreidezeichnungen die Wege vor den Hauseingaengen. Die bunt geschmueckten Bullen sind die Hauptattraktion des Fests - leider sehen wir diese nur von weitem. Dafuer erleben wir den 4. Tag des Festes, an dem sich Familien und Freunde treffen, mit ungefaehr zwei Millionen Indern am Strand von Chennai. Es gibt kein Programm, nicht einmal Baden ist erlaubt, nur Essensstaende, kleine Akrobaten und handbetriebene Mini-Mini-Riesenraeder. Hier zaehlt Sehen und Gesehen werden - natuerlich mit den neuen Kleidern.

Ein weiteres schoenes Erlebnis in Chennai haben wir mit einer feiernden Inder-Gesellschaft. Die laedt uns spontan zum Mitfeiern ein - es ist der Vorabend einer Hochzeit. Die Feier wird gross zelebriert und auf Videokamera festgehalten. Als wir den Feiersaal betreten, sind alle Kameras auf uns gerichtet und wir sind gleich im Uebertragungsbildschirm zu sehen. Danach werden wir zum Essen eingeladen. Am Schluss gibt es noch ein offizielles Foto mit dem Brautpaar. Klasse, wie gastfreundlich feiernde Inder sind.

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