Indien, Westbengalen: Wir wollen Gorkhaland

Vom suedlichsten Bundesstaat Tamil Nadu wollen wir ganz weit in den Norden nach Darjeeling. Wir fahren zunaechst mit dem Zug 29 Stunden von Chennai nach Kolkata, frueher Kalkutta genannt. Die 15 Millionenmetropole erreichen wir am Morgen gegen 5 Uhr. Es ist merklich kuehler als im Sueden und die Menschen sind in dicke Decken gehuellt. Erste Tee- und Kaffeestaende oeffnen gerade und der Qualm des Feuerholzes vernebelt die engen Gassen. An uns vorbei radeln Haendler, die ihre Ware kopfueber an das Fahrrad gehangen haben. Frischer geht es nicht, aber irgendwie tun uns die armen Huehner auch leid. Gleich um die Ecke ist der Gefluegelmarkt bereits in vollem Gange und unzaehliges Federvieh wartet eingepfercht in Bastkoerbe auf Kaeufer. Laufrikschafahrer kommen vorbei und bieten ihre Fahrdienste an. Die Gassen fuellen sich und mehr noch als im Sueden fallen uns die vielen Menschen mit schmutzigen abgewetzten Kleidern auf. Man sieht ihnen an, dass sie ein hartes Leben auf der Strasse fuehren. Laut unserem Reisefuehrer leben Zweidrittel der Einwohner in Slums oder auf der Strasse.

Wir begeben uns auf die Spuren des kolonialen Kalkuttas. Die Metropole war bis 1911 Hauptstadt Britisch-Indiens. Wir sehen einige Prachtbauten in top Zustand, wie das mondaene Queen Victoria Memorial inmitten eines gepflegten gruenen Parks gelegen. Daneben sind viele Gebaeude dem Verfall ausgesetzt, was wohl dem feuchtwarmen Klima im Sommer verschuldet ist. Mit dem Stadtbus wollen wir zum Botanischen Garten fahren, bleiben aber im Stau stecken. Als wir ankommen, hat der Park bereits geschlossen. Wir probieren es am naechsten Morgen bei weniger Verkehr erneut. Vorm Eingang werden wir spontan von zwei freundlichen Afghanen, die in Kalkutta studieren, zum Kaffee eingeladen. Der Botanische Garten ist beruehmt fuer seinen riesigen 250 Jahre alten Banyan Baum, dem groessten Asiens. Und tatsaechlich wirkt er eher wie ein Wald als wie ein einzelner Baum. Der Stamm ist vor Jahren abgestorben, aber die Aeste haben eigene Staemme und Wurzeln ausgebildet und bedecken eine Flaeche von 1,5 Hektar.

Mit dem Toy Train, der Spielzeugbahn, erklimmen wir in einer 8 Stunden Fahrt den 2000 m Hoehenunterschied, um nach Darjeeling zu kommen. Der Zug schlengelt sich in Serpentinen die 80 km hinauf zur luftigen Bergstation. Seinem Namen macht die Spielzeugbahn alle Ehre. Wir sitzen auf einer Minisitzbank und unsere grossen Rucksaecke finden nur vor der Klotuer Platz. Waehrend der Fahrt treffen wir Wojciech aus Polen und Ira aus Finnland, mit denen wir gleich ins Plaudern kommen. So vergeht die Panoramafahrt vorbei an urigen Bergdoerfern und gruener Berglandschaft umso schneller.

Mit Wojciech und Ira verbringen wir eine schoene Zeit in Darjeeling. Wir besuchen den Zoo, die Mt. Everest Ausstellung und gehen ins Kino, um uns den aktuellen Bollywood-Streifen "Veer" anzuschauen. Mit viel Herzschmerz und Tanz- und Gesangseinlagen faellt es uns nicht schwer, dem Inhalt zu folgen. Wir haben viel Spass beim Zuschauen und schmunzeln ueber die stereotype Darstellung der Europaeer, vorzugsweise Briten, im Film.

Gleich bei Ankunft in Darjeeling stellen wir fest, dass die Luft hier oben alles andere als sauber ist. Die Abgase der vielen Jeeps ziehen durch die Gassen. Die Jeeps sind das Hauptverkehrsmittel zwischen der Bergstation und den niedriger gelegenen Doerfern und verstopfen zu den Hauptstosszeiten die Zufahrtsstrassen durch den Ort. Abends wird es fuer uns, die an die schwuele Waerme Suedindiens gewohnt sind, unangenehm kalt. Unser Hotelzimmer bringt hier kaum Besserung, da es in Ermangelung einer Heizung und undichter Fenster fast genauso kalt ist wie draussen. Und wenn es zum obligatorischen Stromausfall kommt, bleibt uns auch die warme Dusche am Abend verwaehrt.

Dennoch sind wir fasziniert von der Lage der Stadt in den Bergen und dem Einschlag seiner Bevoelkerung, die eher asiatisch als indisch aussieht. Von unserem Hotelzimmer geniessen wir frueh am Morgen den Ausblick auf eine der hoechsten Bergketten der Erde, bevor sich die schneebedeckten Gipfel tagsueber hinter aufziehenden Wolken und Dunst verstecken. In der Bergregion wohnt eine grosse tibetische Gemeinde. Nach der Invasion Chinas in Tibet im Jahre 1959/60 fanden viele Tibeter Exil im Norden Indiens. Und so besuchen wir die wunderschoenen buddhistischen Kloester der Umgebung mit ihren Gebetsmuehlen und den bunten im Wind flatternden Gebetsfahnen.

An vielen Waenden und auf Plakaten lesen wir: "We want Gorkhaland" - Wir wollen Gorkhaland. Wir erfahren von Einheimischen, dass die Region im Norden Westbangalens fuer einen unabhaengigen Bundesstaat innerhalb Indiens kaempft. In den 1980er Jahren waren die Kaempfe blutig mit ueber 1200 Toten. Nun versuchen die Gorkhas mit friedlichen Mittelns ihr Ziel zu erreichen. Fuer ihre Unabhaengigkeitsbestrebungen haben die Gorkhas kulturelle und wirtschaftliche Gruende. Die Bevoelkerung in den Bergen sieht nicht nur anders aus, als die Bengalen weiter suedlich, sie sprechen auch eine ganz andere Sprache: einen Mix aus Nepalesisch, Lepcha und Buthanesisch, den sie "Gorkha" nennen. Zudem beklagen die Menschen die marode Infrastruktur, die vielen Schlagloecher auf den Strassen und den schlechten Zustand der Schulen. Dabei erwirtschaftet die Region durch Teeanbau, Tourismus und Holzwirtschaft erhebliche Steuereinnahmen fuer Westbengalen, die nach Meinung der Einheimischen aber der Region kaum zugute kommen.

Fuer bessere Blicke auf die Berge wandern wir in hoehere Lagen - siehe unseren Wanderbericht.

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