Indien, Uttar Pradesh: Bizarres Nebeneinander

Aktuellen Schaetzungen zufolge leben in Uttar Pradesh 190 Mio Menschen auf einer Flaeche, die ein Drittel kleiner ist als die Flaeche Deutschlands. Fuer sich allein genommen ist der indische Bundesstaat neben Brasilien das fuenft bevoelkerungsreichste Land der Erde. Erstaunlich dabei ist, dass die meisten Menschen auf dem Land leben und keine der fuenf Millionenstaedte Uttar Pradeshs mehr als 2,5 Mio Einwohner hat. Wir besuchen zwei dieser Millionenstaedte - Varanasi und Agra.

Varanasi, am Ufer des Ganges gelegen, ist die heiligste Stadt der Hindus und angeblich auch die aelteste Stadt der Welt. Glaeubige kommen hierher, um sich durch ein rituelles Bad im Gangeswasser von ihren Suenden reinzuwaschen und durch Totenverbrennungen am Flussufer den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt zu durchbrechen. 

Abends in Varanasi angekommen, folgen wir der lauten Musik, die vom Flussufer droehnt. Eine Buehne ist aufgebaut und das Publikum auf den Stufen davor lauscht gebannt der heiteren indischen Folklore. Fuenfzig Meter weiter begegnen wir einer voellig anderen Situation. Wir sehen Maenner, die einen in Tuechern gehuellten und mit Blueten geschmueckten Leichnam ins Gangeswasser tauchen und nachher auf einen Holzstapel legen. Mehrere Holzhaufen brennen bereits, streng abgestuft nach Kastenzugehoerigkeit. Die maennlichen Angehoerigen sitzen bedaechtig daneben und starren in die Flammen. Zwischen den Feuerstellen fressen Kuehe die herumliegenden Bluetenkraenze und Hunde waermen sich an der gluehenden Asche der abgebrannten Holzhaufen. Mit der heiteren Volksmusik von nebenan ergibt sich fuer uns ein bizarres Bild. Lebendigkeit und Tod wie selbstverstaendlich nah beieinander.

Frueh am Morgen nehmen die Menschen dann wieder ihr Bad im Gangeswasser inklusive Zaehneputzen. Das heilige Wasser wird in kleine Kannen abgefuellt und mitgenommen. Spaeter am Tag waschen die Frauen ihre Waesche im Fluss und breiten die bunten Tuecher auf den Uferstufen aus. Gleichzeitig werden Herden von Wasserbueffeln in den Ganges getrieben. Der Fluss muss viel verkraften, zumal auch noch Klaerwasser direkt eingeleitet wird.

Bizarr wirkt auch das Nebeneinander von Mensch und Tier in den verwinkelten, engen Gassen der Altstadt. Kuehe in den indischen Staedten sind allgegenwaertig, in Varanasis Altstadt ist es jedoch noch etwas extremer. Kuehe traben auf der Suche nach essbaren Abfaellen in den kaum zwei Meter breiten Gassen, wo schon die Menschen sich aneinander vorbeiquetschen. Gerade am Abend ist es nicht ganz ohne, wenn wir in den schwach beleuchteten Vierteln unterwegs sind. Wir biegen ab und ploetzlich steht ein maechtiger Bulle vor uns. Es gibt kaum Platz zum Ausweichen, ganz zu schweigen von den unzaehligen Hinterlassenschaften der Vierbeiner. Dennoch versprueht die Stadt ihr besonderes Flair beim Spaziergang entlang der Uferpromenade bei Sonnenaufgang. Die geschaeftstuechtigen Einheimischen sind in der Fruehe auch schon aktiv und preisen hartnaeckig ihre Waren und Dienstleistungen an: Bootstour, Massage, Rikscha, Haschisch usw. Entnervt kauft sich Uwe das passende Abwehr-T-Shirt...

Agra stand anfangs nicht unbedingt auf unserem Reiseplan, wurde uns aber von anderen Reisenden waermstens empfohlen. Und so beschliessen wir doch zum meist besuchten Bauwerk Indiens, dem beruehmten Taj Mahal, mit unzaehligen anderen Touristen zu pilgern. Am Ankunftstag besuchen wir zunaechst die "Schwester" - das sogenannte kleine Taj Mahal. Abgelegen in einem anderen Stadtviertel fristet das Gebaeude ein Schattendasein, ist jedoch mit seiner filigranen Blumenornamentik eine wahre Augenweide. Tagsdrauf geht es dann ins Taj Mahal. Im Inneren dieser majestaetischen Grabstaette, die ein Mogul fuer seine Lieblingsfrau errichten liess, gibt es ausser zwei Marmorgraebern im Halbdunkeln nicht viel zu sehen. Von aussen ist das Taj Mahal jedoch ein wahres Juwel orientalischer Architektur. Der kompakte Kuppelbau wirkt so filigran und leicht - einfach formvollendet. Wir sind trotz wolkenverhangenem, grauen Himmel begeistert vom Anblick und koennen kaum unsere Blicke abwenden, wie all die anderen Besucher an diesem Tag. Agra selbst ist eine laute chaotische Industriestadt und steht in vollem Kontrast zum Glanz des Taj Mahals - fuer uns ein weiteres bizarres Nebeneinander. 

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